Christoph Anschütz | Ablation

„Rhein-Main-Region“ ist ein Begriff mit vielen Facetten. Riesige Wälder, kleine und große Flüsse, Berge und Täler gehören zum gleichen Ganzen wie Städte, Dörfer, Autobahnen und Industrie. Die Menschen leben in und mit der Region. Sie prägen sie durch ihre Anwesenheit und ihren gestalterischen Trieb. Nirgends wird diese Präsenz wohl so deutlich wie in der alles bestimmenden Metropole Frankfurt am Main. Ein Ballungsraum, der wohl seinesgleichen sucht. Eine Stadt voller Tradition, die sich dennoch ständig im Wandel befindet. Die unterschiedlichsten Menschen geben ihr ein Gesicht.
 Mitten an diesem Ort bietet sich die Chance, einen Blick aus der Vogelperspektive in fast 200 Metern Höhe zu bekommen. Hinaus aus dem Trubel, hinauf auf den Maintower: Die oberste Plattform des Gebäudes bietet die Möglichkeit, uns der pulsierenden Stadt und ihrem Treiben einige Augenblicke zu entziehen. Von hier oben verschwimmen alle Details der Stadt zu einem großen Ganzen. Sie verwandelt sich in ein ausuferndes Gebilde aus Beton und Stahl. Nur vage sind die Bewegungen der sie bevölkernden Menschen zu erahnen.


Von weit aus der Ferne bietet sich ein anderes Bild. Fast schon still und klein kommt einem der Riese vor, wenn man nur einige Kilometer aus dem Dunstkreis der Stadt hinaus in ihre suburbanen Außenregionen fährt. Die Stadt hat unzählige Gesichter. Doch von außen, bar all ihrer Geräusche und Gerüche, ihrer hektischen Aktivitäten und andauernden Bewegungen, wirkt sie klein, zerbrechlich und aller Verantwortung enthoben. Von ihren Dörfern in der Ferne starten jeden Tag tausende Menschen, um eine Zeit lang dort zu verweilen, nur um die Stadt danach wieder zu verlassen. Unzählige Autos durchschneiden täglich den grünen Mantel, in den sich die graue Stadt hüllt. Geduldig ist dieser immer dünner werdende Saum, während in seinem Inneren Frankfurt, wie ein immer dicker werdender Bauch, stetig wächst und immer mehr und lautere Töne von sich gibt. Das Innere und das Äußere bilden noch keine Konkurrenz. Viel eher sind sie eine Symbiose eingegangen, und beide Teile können nicht mehr ohne den anderen. Frankfurt definiert sich nicht allein über seine Hochhäuser und Banken. Ohne all seine von außen in die Stadt einströmenden Menschen wäre die Stadt ein einsamer Ort ohne Herz. Des Riesen Herz schlägt am Tag mitten im Zentrum. In der Nacht jedoch geht sein größter Teil auf Reisen, verteilt sich und kommt erst bei Sonnenaufgang zurück in die Stadt.

Christoph Anschütz

Christoph Anschütz
1982 geboren in Speyer
seit 2004

Studium der Bildenden Kunst und Geographie
an der Kunsthochschule Mainz und der Johannes
Gutenberg-Universität Mainz
Metallklasse, Prof. Ullrich Hellmann