8 | Judit Hölzle | Vorlesebank

Siebdruckplatte, Stahl, Acrylfolie | 180 cm x 55 cm x 55 cm | Alter Flugplatz Bonames

Vorlesebank

Hölderlin wandert viel. Unendliche Male geht er den Weg zwischen Frankfurt und Homburg. Die Wanderungen und die Landschaft inspirieren ihn. Er schreibt über die Natur, über das Wandern, über das Spazierengehen. Auch über den Einfluss der Natur auf die Stimmung des Menschen. Heimlich trifft er auf diesem Weg seine Geliebte und liest ihr vor. Durch seine Stimme werden seine Worte lebendig, verstärken die Landschaft, in der sie sich befinden.
  Vorlesen verwandelt Texte und gibt ihnen eine Gestalt, macht Figuren lebendig, lässt Welten auferstehen und wieder versinken. Ein vorgelesener Text prägt sich intensiver in das bildliche Gedächtnis ein.
  Vorlesen verbindet Menschen, jene die zuhören mit denjenigen, die vorlesen. Man erlebt eine Geschichte oder ein Gedicht gemeinsam und taucht für einen kurzen Moment in eine Welt ein, die abgegrenzt und geschützt von der Realität und der Außenwelt ist.
  Durch meine Bänke soll ein Weg am Weg entstehen, ein literarischer, poetischer, entlang der Natur, die der Dichter beschreibt. Am Ende des Weges hält der Wanderer eine Sammlung von Hölderlin-Gedichten in Händen, welche ihn teilhaben lassen an den Gedanken eines Mannes, der diesen Weg zwei Jahrhunderte vor ihm gelaufen ist. Die Bänke mit den Gedichten Hölderlins wollen gleichsam Gelegenheit zum Vorlesen, zum gemeinsamen Verweilen und zum Erleben der Natur schaffen.
  Die Gedichte sind nach der Thematik Natur, Wandern und Spazierengehen ausgewählt. Ein Bezug wird hergestellt zwischen der beschriebenen und der realen Landschaft. Des Weiteren regen die Gedichte zum Träumen und Nachdenken an, über die Bedeutung der Natur, über die Bedeutung von menschlichen Bedürfnissen.
  Es sind Plätze gewählt, an denen es ruhig ist, man gerne verweilt, um sich Zeit zu nehmen, zu lesen oder vorzulesen.
 Die Texte sind in der Oberfläche der Bank zu lesen und stehen ausgedruckt in einer Schublade auf DIN A4 Blättern dem Betrachter zur Verfügung.
  Insgesamt könnten etwa 7 – 10 Bänke am Wegesrand entstehen. Auf jeder Bank steht ein anderes Gedicht oder Teil eines Gedichtes. Stellvertretend für die anderen baue ich eine der Bänke. Sie ist schlicht und trotzdem etwas Besonderes. Etwas, das ins Auge sticht, wenn man daran vorübergeht. Es entsteht eine kniehohe Bank ohne Lehne. In der Mitte der Sitzfläche ist ein unter einer Plexiglasplatte liegendes Gedicht von Hölderlin zu lesen. Durch die Beschaffenheit der Bank ist es möglich, sowohl miteinander, als auch sich gegenüber zu sitzen - das Gedicht zwischen den sitzend Lesenden und Hörenden.

Das fröhliche Leben

Wenn  ich auf die Wiese komme,
 Wenn ich auf dem Felde jetzt,
  Bin ich noch der Zahme, Fromme
   Wie von Dornen unverletzt.
    Mein Gewand in Winden wehet,
     Wie der Geist mir lustig fragt,
      Worin Inneres bestehet,
       Bis Auflösung diesem tagt.

O vor diesem sanften Bilde,
 Wo die grünen Bäume stehn,
  Wie vor einer Schenke Schilde
   Kann ich kaum vorübergehn.
    Denn die Ruh an stillen Tagen
     Dünkt entschieden trefflich mir,
      Dieses mußt du gar nicht fragen,
       Wenn ich soll antworten dir.

Aber zu dem schönen Bache
 Such’ ich einen Lustweg wohl,
  Der, als wie in dem Gemache,
   Schleicht durch’s Ufer wild und hohl,
    Wo der Steg darüber gehet,
     Geht’s den schönen Wald hinauf,
      Wo der Wind den Steg umwehet,
       Sieht das Auge fröhlich auf.

Droben auf des Hügels Gipfel
 Sitz’ ich manchen Nachmittag,
  Wenn der Wind umsaust die Wipfel,
   Bei des Turmes Glockenschlag,
    Und Betrachtung gibt dem Herzen
     Frieden, wie das Bild auch ist,
      Und Beruhigung den Schmerzen,
       Welche reimt Verstand und List.

Holde Landschaft! Wo die Straße
 Mitten durch sehr eben geht,
  Wo der Mond aufsteigt, der blasse,
   Wenn der Abendwind entsteht,
    Wo die Natur sehr einfältig,
     Wo die Berg’ erhaben stehn,
      Geh’ ich heim zuletzt, haushältig,
       Dort nach goldnem Wein zu sehn.

Judit Hölzle

Judit Hölzle
1983 geboren in Karlsruhe
2003 Beginn des Studiums Eberhard-Karl-Universität Tübingen
2005 Wechsel an die Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Germanistik und Italienisch
2006 Studium Lehramt Bildende Kunst an der Akademie für Bildene Künste Mainz
2006 - heute Studium bei Prof. Hellmann, Metallbildhauerei