Peter Lieser | Spurensuche Rhein-Main

Spurensuche – Projekt mit offenem Ausgang. So war es angelegt: künstlerisch forschend, ein Experiment ohne Grenzen, auch nicht in der Region, keine Vorgaben zu Inhalten und Themen, Farben und Formen, Material und Mittel. Nicht zum ersten Mal mit Bezug zu Rhein-Main, aber nun aus Mainzer Sicht.
Hier steht die Kunsthochschule Mainz als eigenes Teil der Johannes Gutenberg-Universität, hier lehren und studieren die Mitwirkenden, eben im Westen der Region, den man in der Mitte und im Osten von Rhein-Main für den Dom, das Schloss, die Fastnacht und den Wein kennt. Doch lebt die Kunst wie anderswo, in kreativer Ruhe, in Selbstbesinnung und mit weitem Blick. Das Umfeld dient der Inspiration, der inneren Nahrung, der dialogischen Exposition und der öffentlichen Erprobung der eigenen Sinne.

 

Das waren die Motive für den gewagten Akt, sich mit den Begabungen der Bildenden Kunst zur Wahrnehmung der Besonderheiten der Region ins Feld und auf den Weg durch das „Stadtland“ von Rhein-Main zu begeben. Es gab keinen Anfang und kein Ende, auch nicht in unserem Arbeitsprinzip, und die Landschaften, Städte und Dörfer, die wir im Laufe von zwei kurzen Jahren besuchten, schienen im großen Maßstab, in dem wir uns nun bewegten, eher nach dem Zufall besiedelt und im alltäglichen Miteinander sanft und unspektakulär bewohnt.
Nicht mehr das Atelier war das Maß, die funktionale Struktur des täglichen Lehr- und Lernortes der sichere Kontext, um Farben und Formen zu befragen, die Wahrnehmung zu schulen, nicht mehr nur die Stadt war das Umfeld, der eigene Rückzugsort, die Heimat – jetzt waren es die regionalen Netze und Strukturen, deren Spuren wir erst lesen lernen wollten.

 

Wo waren also die Erkennungszeichen von Rhein-Main, die unübersehbaren Eigenheiten, die Höhepunkte und die unverwechselbaren Bilder, die jeder der hier lebt, auch gerne sieht und in sich trägt? Gab es geschichtliche Marken, an denen wir uns festhalten konnten, kleine und große landschaftliche Reize, die schon durch das Auge zur ruhigen Erholung führten, unentdeckte Skurrilitäten, die es aufzuspüren galt? Teilen wir die Wahrnehmung der anästhetischen Strukturen, die „Zwischenstadt“ prägen und so gesichtslos machen, wie die Peripherien der Agglomerationsregionen üblicherweise beschrieben werden? Haben wir die Mittel einzugreifen und den Zustand ins Ästhetische umzuwerten? Kann Kunst in diesem Maßstab einen Beitrag leisten, der so nötig zur Gewinnung von markanter regionaler Gestalt wäre? Eine Antwort wird in diesem Büchlein gegeben: Politik kann es nicht.

 

Doch ein Ende? Es sind elf sehr verschiedene und vielfältige Arbeiten ent- standen, die der Qualität und Vielfalt der Region entsprechen. Sie werden hier vorgestellt und wollen nun mit einem Vielfachen an Werken in Ausstellungen durch die Region wandern. Zwei Arbeiten, „Wetter in Rhein-Main“ und „Dom in der Wüste“ sind Fragment geblieben und fragmentarisch erwähnt. Zahlreiche Arbeiten könnten nun noch entstehen, und hier ist das Projekt offen geblieben, weil es schlicht den Anstoß zur Fortführung der neu entstehenden eigenen Bilder zu Rhein-Main geben will.
Zwei meiner Kollegen und Freunde haben sich der Region genähert und mich in meinem letzten öffentlichen Projekt im Mainzer Kontext mit ihrem Werk und ihrer unabhängigen Sicht auf die Region bildhaft unterstützt.
Die Studierenden der Bildenden Kunst, aus fünf verschiedenen künstlerischen Klassen, und ein künstlerischer Mitarbeiter der Fotografie haben weite Wege durch die Region zurückgelegt, intensive Gespräche über Rhein-Main durchgehalten und ihre eigene regionale Intervention ins Werk gesetzt, zu dem - im gemeinsamen Erstellen – auch der vorliegende Katalog gehört. Allen sei Dank, und namentlich Nikolaus Thomas, der die vielschichtigen Teile unseres künstlerischen Netzes für Rhein-Main zusammenfügte.

Peter Lieser

Peter Lieser
1946 geboren in Saarbrücken
bis 1992

Freie Projektarbeit

1992–1996

Geschäftsführer der GrünGürtel Frankfurt GmbH
der Stadt Frankfurt am Main | Lehre an der TU
Darmstadt, Fb Architektur und Städtebau

1996-2012

Professor für Umweltgestaltung an der
Kunsthochschule Mainz,
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Freie Projektarbeit